Videospielkultur.de » Klassiker

Die Siedler II – Veni, Vidi, Vici

31. 12. 2023 | Kategorie: Klassiker | Autor: Mario Siewert

Gute 27 Jahre ist es her, dass das Genre der Aufbaustrategie-Spiele mit dem zweiten Teil der Siedler-Reihe formidabel durcheinander gewirbelt wurde. Das Spiel ist nicht nur der wohl bekannteste und vermutlich auch beliebteste Teil der bekannten Siedler-Reihe, sondern konnte zumindest in Deutschland auch zahlreiche Spieler gewinnen, die bis dahin mit Computerspielen kaum Berührungspunkte hatten.

Eine typische Siedlung - hier zu Beginn der Kampagne aus der Missions-CDWarum gerade der zweite Teil der Serie zum Erfolgsbringer wurde, wird in der Rückschau erst auf den zweiten Blick klar. Denn wer heutzutage einmal das zunächst für den Amiga erschienene Die Siedler spielt, dürfte sich daher ob der Ähnlichkeit verdutzt fragen, was dann im zweiten Teil überhaupt anders gemacht wurde. Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass schon der erste Teil ein durchaus erfolgreicher Titel war (letzten Endes verkauften sich vom zweiten Teil aber mit kolportierten 600.000 Exemplaren angeblich 50% mehr Spiele als vom ersten Teil). Für Veni, Vidi, Vici wurde dann das bewährte Spielprinzip keinesfalls grundlegend verändert sondern stattdessen an so ziemlich jeder kleinen Stellschraube, die noch Verbesserungen bot, gedreht.

Während der erste Teil teilweise noch technische Schwierigkeiten und hohe Hardwareanforderungen aufwies,1 waren beide Aspekte beim Nachfolger durch eine völlig neue Grafik-Engine nicht nur behoben, sondern das Spiel setzte bezüglich der Optik mit für die damalige Zeit sehenswerten Auflösungen von bis zu 1024 x 768 Pixeln, detailliert gezeichneten Gebäuden und Animationen der Figuren sowie der nicht weniger ansehnlichen Gelände-Darstellung mittels Gouraud Shading neue Maßstäbe. Auch heute noch lässt sich die Klasse der grafischen Darstellung gut nachvollziehen, denn Die Siedler II – Veni, Vidi, Vici ist glücklicherweise eines der Spiele, die nicht oder höchstens in Würde altern.

Dass das Spiel grafisch überzeugen konnte ist auf der anderen Seite aber auch dem Spielprinzip mit seinen zahlreichen Siedlern geschuldet, die nicht nur in jedem Gebäude ihre Arbeit verrichten, sondern auch an nahezu jeder Abzweigung des oftmals weit verzweigten Wegenetzes in Form von Lastenträgern unterwegs sind. Hierdurch entsteht der berühmte „Wuselfaktor“, der dann im Zusammenspiel mit der erwähnten hohen Auflösung und der damit verbundenen Darstellung großer Bildauschnitte, auf die Spitze getrieben wird.

Anders als der erste Teil setzte Die Siedler II nicht mehr völlig auf eine fiktive Geschichte, sondern verlagerte die Spielwelt in das Zeitalter des alten Roms. Neben den Römern stehen noch weitere Völker wie die Wikinger, die Nubier oder ein asiatisches Volk zur Verfügung. Spielerisch gibt es zwischen den einzelnen Völkern zwar keine Unterschiede, die jeweils unterschiedlich gestalteten Gebäude sorgen aber für zusätzliche grafische Abwechslung.

Am Anfang jeder Mission findet ein Briefing statt. Zu Beginn der Kampagne ist der Bau vollumfänglicher Wirtschaftskreisläufe oft nicht notwendig.Generell sorgt das Spielprinzip mit seinem starken Fokus auf das Bauen und Erwirtschaften von Ressourcen zum Einen für einen gewissen Suchtfaktor, zum Anderen aber auch für ein relativ entspannendes Spielerlebnis. Da weder die Siedler noch die Militäreinheiten direkt gesteuert werden können, ist ein kurzfristiges Eingreifen in die geplanten Abläufe normalerweise nicht nötig: Bauaufträge werden nachdem sie vergeben und an das Wegenetz angeschlossen wurden automatisch erledigt, sofern alle benötigten Baustoffe vorrätig sind und auch neue Gebiete werden automatisch erobert oder verteidigt, sobald die angrenzenden Militärgebäude besetzt sind. Lediglich Angriffe auf angrenzende Gebiete des Gegners müssen als solche aktiv befohlen werden, aber auch in diesem Fall marschieren die Einheiten auf eigene Faust los und können nicht individuell befehligt werden. Eine Folge des indirekt stattfindenden Spielprinzips ist dann allerdings, dass auf Aktionen des Gegners, die möglicherweise zu spät bemerkt werden, nicht direkt und damit gefühlt etwas behäbig reagiert werden kann.

An anderer Stelle wiederum bietet Die Siedler II dann ein Micromanagement allererster Güte: Die einzelnen Waren können individuell nachverfolgt werden, sowohl über die Bestandslisten der einzelnen Warenhäuser als auch beim Transport über das Straßennetz durch die Siedler. Einzelne Siedler oder Gebäude lassen sich dabei falls gewünscht in separaten Fenstern individuell beobachten. Nicht nur in diesem Fall sondern auch bezüglich der anderen Steuerungselemente überzeugt das Spiel durch ein gnadenlos intuitives, effizientes und durchdachtes Design der Steuerungselemente, die wie aus einem Guss wirken, schnell erlernt sind und auch nach Jahrzehnten nicht altbacken wirken.

Das Lager (hier als Römerzelt dargestellt) ist der Grundstein jeder Siedlung. Die umliegenden Symbole zeigen mögliche Bauplätze für die verschiedenen Gebäude-Typen an.Die Zahl der verschiedenen Waren und Wirtschaftskreisläufe ist verglichen mit aktuellen Genre-Vertretern etwas überschaubar, aber immer noch mehr als ausreichend. Die Wirtschaftskreisläufe sind zudem so intuitiv, dass auch Gelegenheitsspieler Interesse daran finden, sich mit dem Wirtschaftssystem des Spiels zu beschäftigen. Bei der Planung von geeigneten Abläufen und Warenstrecken spielt neben der Verfügbarkeit von Rohstoffen auch die Suche nach geeigneten Bauplätzen eine große Rolle. Während der erste Aspekt genre-typisch ist, handelt es sich bei dem zweiten Punkt zumindest in der letztendlich umgesetzten Variante um eine Eigenheit der Siedler-Reihe: Kleine und große Haus- und Burgsymbole, die mittels eines Rasters auf der Karte verteilt sind, kennzeichnen jeweils die überhaupt möglichen Bauplätze für bestimmte Gebäudetypen. Durch den Bau von Gebäuden werden angrenzende Bauplätze dann oft noch weiter in ihren Möglichkeiten eingeschränkt oder verschwinden komplett, so dass man bei der Anordnung der Gebäude nicht nur den Transport der Rohstoffe, sondern auch die Verfügbarkeit von Bauplätzen berücksichtigen muss. Gerade diese prinzipiell leicht zu verstehende, aber gleichzeitig fordernd und motivierende Planungsaufgabe ist dann einer der Punkte, die zum Spielspaß von Veni, Vidi, Vici beitragen.

Besonders hervorzuheben ist sicher der Mehrspieler-Modus, der in den ersten beiden Siedler-Teilen in Form eines Splitscreen-Modus daher kommt. Was man sonst eher von Konsolen oder vielleicht von Computerspielen kannte, die mit Joysticks, Gamepads oder zur Not der Tastatur gesteuert wurden, wurde im Fall der Siedler-Spiele dann einfach in einem Genre umgesetzt, das größtenteils per Maus gesteuert wird. Als logische Konsequenz werden im Mehrspieler-Modus dann zwei Computermäuse benötigt, was sicher Seltenheitswert hat, dem Spielspaß aber keinen Abbruch tut. Wer die Kampagne erfolgreich abgeschlossen hat, muss aber nicht unbedingt auf das Spiel gegen menschliche Gegner ausweichen, sondern kann im Spielmodus „Freies Spiel“ auch gegen computergesteuerte Akteure antreten. Über ausreichend Zeit sollte man allerdings in jedem Fall verfügen, wenn man in die Welt von Die Siedler II eintaucht, denn obwohl die Möglichkeit besteht den Spielverlauf mittels Tastenkombination um eine Stufe zu beschleunigen, dauern die Spielrunden je nach Missions-Typ und Karte nicht selten mehrere Stunden.

Im Rahmen der Missions-CD taucht eine neue Kampagne im Hauptmenü aufKleinere Ungereimtheiten sollen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Die bereits ein halbes Jahr nach Erscheinen des Hauptspiels veröffentlichte Missions-CD konnte zwar eigentlich auf ganzer Linie überzeugen, da sie neben einer neuen Kampagne und besonders großen Karten, die echten Kontinenten nachempfunden waren, auch einen Karten-Editor enthielt. Die für die Seefahrt notwendigen Hafenburg-Bauplätze ließen sich über den Editor allerdings nicht erstellen, so dass ein Teil der Spielfunktionen demnach nur in der Kampagne zur Verfügung steht. Zwar gibt es im Internet Anleitungen zum Umgehen dieses Problems, hierbei wird aber teilweise auf heutzutage so exotische Dinge wie Turbo Pascal-Programme zurück gegriffen, was demnach kein Allheilmittel darstellt.

Nichtsdestotrotz konnte Die Siedler II – Veni, Vidi, Vici völlig zurecht aufgrund des grandiosen Spielprinzips in Kombination mit einer mehr als intuitiven Steuerung und einer damals wie heute überzeugenden Grafik den wohlverdienten Ruhm als eines der erfolgreichsten Aufbaustrategiespiele überhaupt einfahren. Im gut zwei Jahre später erschienenen Nachfolger wurden dann einige größere Änderungen vorgenommen, die zwar nicht bei allen Fans gut ankamen, andererseits aber auch viele Fürsprecher fanden: Der Wegfall des Wege-Systems und das direkte Steuern von Kampfeinheiten mitsamt der damit einhergehenden taktischen Möglichkeiten sind in diesem Zusammenhang sicher die wichtigsten Punkte, die genannt werden sollten. Gleichzeitig war gut ein halbes Jahr vor Erscheinen des dritten Siedler-Teils mit Anno 1602 ein weiterer äußerst populärer Genre-Konkurrent auf der Bildfläche aufgetaucht, so dass es der dritte Teil der Reihe vermutlich auch deswegen etwas schwerer hatte, die Genre-Krone derart triumphal zu ergattern wie es Die Siedler II – Veni, Vidi, Vici bei seinem Erscheinen nahezu mühelos schaffte.

Auch wenn die Siedler-Reihe danach weitere Fortsetzungen erhielt, lebt der Charme des zweiten Teils weiterhin fort, wie sich an den zahlreichen Remakes des Klassikers zeigt: 10 Jahre nach dem Erscheinen des Originals erschien mit Die Siedler II – Die nächste Generation ein 3D-Remake des Originals. Kurze Zeit später folgte eine Portierung für den Nintendo DS und 25 Jahre nach dem Release des ersten Teils mit der History Collection eine restaurierte Sammlung der ersten sieben Titel der Reihe, in der auch der zweite Teil ein Upgrade inklusive Auflösungen bis zu 4K erhielt. Auch ein Open Source Projekt darf nicht fehlen und steht in Form von Siedler 2.5 – Return to the Roots zur Verfügung.2 Erfreulicherweise erfährt das Projekt auch in 2023 noch Aktualisierungen durch das Entwicklerteam. Wer in der heutigen Zeit in den Genuss des Originals kommen möchte, dem bietet sich als erste Wahl die Gold Edition des Spiels an, die aus dem Grundspiel und der Missions-CD besteht und beispielsweise bei gog.com erhältlich ist.

1 Petra Maueröder: Ritter ohne Furcht und Tadel. PC Games 3/94, S. 108–111
2 www.siedler25.org

Kommentar verfassen:

Dein Name:   

Sicherheitscode:  



 

Bisherige Kommentare:

Es gibt bisher noch keine Kommentare.